Sonntag, 1. Oktober 2017
Ein Samstagabend in Modica
Seit meinem ersten Tag hier höre ich, wie voll die Straßen von Modica abends sind. Bisher hatte ich das nicht so gesehen, aber gestern Nacht habe ich meine Meinung ändern müssen. Und das kam so:

Ich habe mich mit einer Kollegin, die schon seit einem Jahr hier wohnt, im Stadtzentrum getroffen. Es waren nicht ungewöhnlich viele Leute unterwegs, aber habe ich mir nicht viel dabei gedacht.
Wir sind zum Duomo San Giorgio gegangen, wo laut Aussage meiner Kollegin ein wunderschöner Garten sein sollte. Es hat sich herausgestellt, dass ich tatsächlich schon zwei Mal daran vorbeigelaufen bin, ohne ihn zu bemerken. Dieser Garten gehört zu einer kleinen Bar und sieht nachts aus, wie aus einem Film: Der ganze Garten wird von einer Natursteinmauer von der Straße getrennt und in ihm stehen Oliven-, Zitronen-, und Limettenbäume. Wahrscheinlich auch noch andere, die ich nicht erkennen konnte, weil es schon dunkel war. In den Bäumen hängen Lichterketten, die neben den narnianischen Laternen die einzigen Lichtquellen sind. Man sitzt in Liegestühlen oder auf Holzstühlen, die um kleine Holztische stehen und kann auf den gegenüberliegenden Berghang schauen, an dem die Straßenlaternen und Fenster die barocken Gebäude in ein warmes Licht tauchen. Und dann ist man dort. Unter den Olivenbäumen. Das Ganze wird von sehr italienisch anmutender Musik untermalt, die eine Mischung aus Klassik und Jazz ist.

Eigentlich wartet man nur darauf, dass eine Frau in einem roten Kleid (wie dem aus der Rotkäppchen-Werbung) in den Garten läuft und dramatisch einem attraktiven Mann im maßgeschneiderten Anzug um den Hals fällt. Als wäre man Statist in einem Film.

Nach ca. einer Stunde haben wir gehört, wie unten in der Stadt laut Musik gespielt wurde. Auf dem Weg vom Zentrum zum Park hatten wir entdeckt, dass auf der Treppe zur Chiesa San Pietro Scheinwerfer und Bildschirme aufgestellt worden waren. Da diese Woche eine Hochzeitsmesse im Zentrum war, hatten wir uns schon gedacht, dass das dazu gehört muss und beschlossen, zu schauen, ob es etwas zu sehen gibt. Und das gab es!

Wir hatten die ersten 10 / 15 Minuten verpasst, aber das war nicht weiter schlimm. Wir waren gerade pünktlich zur Brautkleidpräsentation! Es kamen also Models in langen weißen Kleidern, die mal mehr, mal weniger glitzerten, die Kirchentreppen hinunter.

Auf die erste Runde Brautkleider folgte eine zweite. Dann gab es entweder sehr unkonventionelle Brautkleider oder Brautjungfernkleider, da bin ich mir nicht so sicher.


Es gab auch eine Runde mit Kindern in weißen Kleidern und Anzügen. Das Beste waren zwei kleine Jungs, die gerade so laufen konnten und daher von Frauen (den Müttern?) in eleganten Kleidern rausgeführt wurden. Beide Jungs waren offensichtlich höchstens am Tag zuvor beim Friseur gewesen und trugen kleine Anzüge. Und weil all diese Eleganz Kindern unter zwei Jahren relativ egal ist hatten beide noch ihre Nuckel im Mund, während alles um sie herum in glitzerte, glänzte und seeehr teuer aussah.
Es gab auch eine handvoll Männer, die Anzüge vorgeführt haben, aber ich bin mir nicht sicher, ob es nicht immer die gleichen Anzüge waren…
Außerdem muss ich anmerken, dass es unter den Models zwei Blondinen gab, die immer zu erst rausgekommen sind und somit ganz unten direkt vor dem Publikum standen. Blond scheint hier wohl wirklich etwas Besonderes zu sein...

Aber der eigentliche Grund, weshalb wir dort fast drei Stunden lang standen, war die Zeit zwischen den Brautmodenschauen. Während sich die Models umgezogen haben, wurde eine Show veranstaltet. Es gab eine Moderatorin, die den Abend moderiert und die verschiedenen Acts angesagt hat. Darunter waren:
-Eine Opernsängerin, die Pucchini und Verdi gesungen hat
-Ein Geschwisterpaar, dass auf internationalem Level in Tanzmeisterschaften antritt und in sehr glitzernden Klamotten zu einem Lied getanzt hat, zu dem niemand mit seinem Bruder / seiner Schwester tanzen sollte (was den Text betrifft)

-Eine Gruppe Teenager, die das Gaston-Lied aus Die Schöne Und Das Biest gesungen und getanzt haben

Dann gab es ein LED-Hochzeitskleid, Nebelmaschinen, einen Bühnenmanager, der sich zwischendurch das Mikrophon geschnappt und die Moderatorin unterbrochen hat, eine Frau mit E-Gitarre, die zwischen Models stand und getan hat, als würde sie spielen und singen, Feuereffekte und noch so viel anderes Kurioses, dass ich mir gar nicht merken konnte. Und das alles auf Kirchenstufen! Dagegen sind die Domstufenfestspiele Valium!
Genauso stelle ich mir harte Drogen vor: plötzlich ist laut, bunt und skurril. Aber meine Kollegin hat nur gesagt, dass das alles sehr italienisch sei.
Als wir nach der Show, kurz vor Mitternacht, durch die Straßen gelaufen sind habe ich endlich verstanden, was alle mit „Abends sind die Straßen voll“ meinen. Die Straßen waren VOLL! Kaum Platz auf den Fußwegen, alle aufgedonnert und zurechtgemacht, die meisten Frauen auf hohen Absätzen in Kleidern, in denen sie bestimmt gefroren haben. Unglaublich. Als wäre es Sylvester!
Das erklärt auch, warum hier alle Mittagsschlaf machen. Wenn man bis weit nach Mitternacht unterwegs ist, teilweise mit kleinen Kindern, dann muss man den Schlaf eben mitten am Tag nachholen.

Bezüglich eines mittlerweile behobenen Tippfehlers wurde ich gefragt, was man sich denn unter einem "Brautleid" vorstellen kann. Und dazu kann ich nur sagen: SOLCHE Treppen auf SOLCHEN Absätzen mit SO LANGEN Kleidern hinabsteigen zu müssen ohne dabei fluchen zu dürfen, dass ist wohl die wahre Bedeutung von "Leid".

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