Sonntag, 8. Oktober 2017
Busfahren
Während ich mich über den sizilianischen Fernbusverkehr nicht beschweren kann (siehe Blogeintrag vom 13.09.2017), habe ich doch so einiges am ÖPNV zu kritisieren. Ich bin aber ein viel zu positiver Mensch um ständig Leute schlechtzureden. Darum habe ich beschlossen, mich nicht mehr über das System zu ärgern, sondern stattdessen zu überlegen, wie es entstanden ist. Und das muss wohl so passiert sein:

*Wir befinden uns in einem großen, spärlich beleuchteten Konferenzraum. Am Kopfende des ovalen Tisches sitzt der Boss: ein dicker, breitschultriger Mann im maßgeschneiderten Businessanzug, er hat einen gewaltigen Schnurrbart und eine qualmende Zigarette im Mundwinkel. Links von ihm sitzt sein Assistent: ein kleiner, schlaksiger Mann, der sein Cord-Jackett gerademal zur Hälfte ausfüllt. Vor ihm liegen ein Klemmbrett und ein Bleistift. Er rutscht nervös auf seinem Stuhl herum. Rechts vom Boss sitzt der Schriftführer, ein 15-jähriger Schülerpraktikant. Er tippt auf einer klackernden Schreibmaschine mit*
Boss: Okay, Stadtverkehr. Was haben wir für eine Idee?
Assistent: Busse. Da müssen wir keine Schienen legen und können bei Verkehrsstörungen die Strecken umleiten.
Boss: Ausgezeichnet! Machen wir. *Schaut den Assistenten, dann den Schriftführer erwartungsvoll an*
Schriftführer: *skeptisch* Und wie?
Boss: *an den Assistenten gewandt* Und wie? Wie machen wir das?
Assistent: *rückt sich nervös die Brille zurecht, die ihm von der Nase zu rutschen droht* Ja, also, wir brauchen natürlich Busse.
Boss: Wo bekommen wir die her?
Assistent: Also da hab ich mich jetzt leider noch nicht so ganz schlau gemacht…
Schriftführer: *ohne von seinem soeben gezückten Smartphone aufzuschauen* Auf ebay gibt es ein Angebot: ein paar alte Schulbusse und Nahverkehrsbusse aus Deutschland.
Boss: Aus Deutschland?
Schriftführer: *achselzuckend* Ja, also da ist eben noch Werbung für ein Ärztehaus in Wiesbaden drauf, aber nicht auf allen. Und das ist ja eh egal, das kann hier sowieso keiner lesen.
*Boss und Assistent tauschen einen vielsagenden Blick aus*
*Boss schlägt mit der Faust auf den Tisch, Assistent fährt vor Schreck zusammen*
Boss: Gekauft!
Assistent: *hackt etwas auf seinem Klemmbrett ab, befeuchtet seinen rechten Zeigefinger mit der Zunge, blättert auf die zweite Seite* Also, wir haben ja schon geklärt, wo die Haltestellen hinsollen, aber noch nicht, wie sie aussehen.
Boss: Aussehen?
Assistent: Naja, also… Man muss sie ja als solche erkennen können.
Boss: Aha.
*eine lange Stille setzt ein, das klackern der Schreibmaschine verstummt, der Schriftführer sieht sie anderen beiden erwartungsvoll mit erhobener Augenbraue an*
Assistent: Also, in anderen Ländern…
Boss: Ja?
Assistent: *etwas selbstsicherer* … da gibt es Schilder, die die Haltestellen markieren.
Boss: *fröhlich* Machen wir!
Assistent: *lächelt leicht* Und oft gibt es auch Bänke und Wartehäuschen.
Boss: *sichtlich verwirrt* Wartehäuschen?
Assistent: Naja, also, ähm, damit man… Damit man eben nicht nass wird, wenn es regnet.
Boss: Ach so. Na dann… machen wir das auch.
Assistent: Gut *setzt Häckchen auf seinem Klemmbrett* Die Wartehäuschen sind oft gestaltet mit–
Boss: *aufgeregt* Bildern von der wunderschönen Stadt!
Assistent: *wirft dem Schriftführer einen nervösen Blick zu, rückt sich die Brille zurecht* Nein, also eigentlich… sind da meistens Werbeplakate und Liniennetze.
Boss: *sichtlich verwirrt mit gerunzelten Augenbrauen* Liniennetzpläne?
Assistent: *beginnt die schweißfeuchten Hände an seiner Hose trocken zu wischen* Also… das ist praktisch ein Plan der Stadt wo eingezeichnet ist, welcher Bus wo lang fährt…
Boss: *sehr entschieden* Brauchen wir nicht. Das kann man doch den Busfahrer fragen. Der hat doch sonst niemanden zum Reden, wenn niemand in den Bus kommt und ab und an mal fragt, wo er hinfährt. Nee, das wäre ja soziale Isolation. Das machen wir nicht. Wir nehmen einfach schöne Bilder von der Stadt. *schaut den Schriftführer an, als würde um Bestätigung bitten. Schriftführer zuckt mit den Achseln, weil er ein Teenager ist und sich herzlich wenig für irgendetwas interessiert*
Assistent: *kritzelt wild auf seinem Klemmbrett herum* Okay, dann…. Also… der nächste Punkt wäre…
Boss: *lehnt sich in seinem quietschenden Stuhl zurück, die Hände über dem mächtigen Bauch verschränkt, lächelt und nickt zufrieden, ignoriert den Assistenten* … und dann kann man sich die schönen Bilder unserer Hübschen Stadt angucken, während man auf den Bus wartet.
Assistent: Genau, also das wäre, das wäre dann der nächste Punkt. Also die Fahrpläne.
Boss: Fahrpläne?
Assistent: *wirft dem Schriftführer einen Blick zu, der „Hilf mir!“ sagt, wird aber ignoriert, weil Schülerpraktikanten nicht bezahlt werden, erst recht nicht dafür, anderer Leute Job zu machen* Ja, also das sind Pläne, da stehen Zahlen drauf.
Boss: *lehnt sich über den Tisch, bis seine Nase fast die des Assistenten berührt* Zahlen? Was für Zahlen? Wofür braucht man die?
Assistent: *schluckt* Ähm, also, ich habe beobachtet, dass manche Menschen beim Warten gerne auf die Zahlen gucken und dann etwas beruhigter wirken.
Boss: *lässt sich zurück in seinen quietschenden Stuhl fallen* Die Zahlen beruhigen die Menschen? Wo hast du das denn gesehen? In Deutschland? *beginnt laut über seinen eigenen Witz zu lachen, der mittlerweile verglühte Zigarettenstummel fällt ihm aus dem Mund, der Assistent lacht nervös mit, der Schriftführer verzieht das Gesicht und bereut die Entscheidung, sein Praktikum nicht in der Pizzeria seines Cousins Mario zu absolvieren*
Boss: Also keine… Fahrpläne. Zahlen… also wirklich!
Assistent: Naja, aber vielleicht, also ganz vielleicht nur, können wir damit bei den Touristen aus dem Ausland Eindruck schinden. Also Bilder von unserer Stadt in Kombination mit Fahrplänen, das könnte dem ganzen einen… Ähm, kosmopolitischen Hauch verleihen.
Boss: *mit bitterem Gesicht* Okay, also doch Fahrpläne. *beginnt sich die Schläfen zu massieren* Wann fahren die Busse denn immer so?
Assistent: *weiß, dass als sein Boss dieses Gesicht zum letzten Mal gemacht hat, haben vier Leute ihren Job verloren* Ähm, wann sie wollen! Also, dass können die Busfahrer ganz frei gestalten! Also auch nicht nachts oder so! Nein, nachts doch nicht. Und auch am Sonntag nur ganz ganz wenig. Also eigentlich nur wann sie wollen!
Boss: *sichtlich zufrieden mit dieser Antwort* Gut. Das gefällt mir. So, sind wir hier fertig?
Assistent: *zieht den Kopf zwischen die Schultern* Noch eine einzige Sache, Boss.
Boss: Ja?
Assistent: Also, wie, also… Bustickets.
Boss: Na die muss man halt kaufen.
Assistent: In den Bussen im Ausland gibt es so Stempelmaschinen, die die Tickets entwerten, damit man die nur einmal benutzen kann…
Boss: Na dann kaufen wir davon eben auch ein paar. Aber die günstigsten!
Schriftführer: *mit dem Smartphone in der Hand* Also ich könnte hier welche ganz billig bestellen, Porto inklusive, die funktionieren aber alle nicht mehr.
*der Assistent will gerade etwas einwenden, da schlägt der Boss mit der Faust auf den Tisch, dem Assistenten fällt der Bleistift aus der Hand*
Boss: Gekauft!
*mit saurem Gesicht taucht der Assistent unter dem Tisch ab um seinen Stift zu suchen, der Boss schüttelt dem Schriftführer die Hand und verspricht ihm, ihn an das Finanzministerium weiterzuempfehlen*
Assistent: *taucht wieder hinter der Tischplatte auf* Also, wenn ich da mal etwas anmerken dürfte - *rückt sich die Brille zurück, realisiert, dass er der einzige im Raum ist. Der Boss ist mit dem Schriftführer bei Mario zum Pizzaessen*

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